Was passiert, wenn die US-Notenbank ihre Unabhängigkeit verliert?

Von der US-Wirtschaftspolitik geht weiterhin hohe Unsicherheit für die Weltwirtschaft aus. In erster Linie denkt man an die Zollpolitik, deren konkrete Ausgestaltung weiterhin mit vielen Fragezeichen versehen ist. Aber tatsächlich könnte ein anderer Bereich für die Weltwirtschaft, vor allem für den Finanzmarkt, noch stärkere Auswirkungen haben: der Kampf um die Unabhängigkeit der US-Notenbank, der Fed.

Dabei muss man verstehen, dass unabhängige Zentralbanken erst das Ergebnis verschiedener Krisen waren und Zentralbanken immer der Gefahr ausgesetzt waren bzw. sind, günstige Rahmenbedingungen für die Finanzierung des Staates schaffen zu müssen.

Der Preis dafür sind höhere Inflation, Währungskrisen und erhöhte Inflationserwartungen, die langfristig zu deutlich höheren, für Staat und Wirtschaft schädlichen Zinsen führen. Daher ist es vielen Zentralbanken von Industrieländern nach den Wirtschafts- und Inflationskrisen der 1970er- und 1980er-Jahre gelungen, mehr tatsächliche Unabhängigkeit zu erreichen. Die Früchte dieser Politik haben wir gerade im Euroraum ernten können: Obwohl die Inflation im Euroraum vor drei Jahren über 10 Prozent lag, ist es gelungen, sie wieder auf 2 Prozent zu reduzieren, und die Geldmarktzinsen liegen ebenfalls wieder bei 2 Prozent.

In den 1980er-Jahren dauerte dies fünf Jahre mit Zinsen über 10 Prozent auch für Deutschland, und auch fünf Jahre später lagen die Zinsen noch bei über 6 Prozent. Diese Errungenschaft einer stabilen Inflationserwartung auch nach Schocks scheint nun zumindest in den USA gefährdet. Auch wenn von einer Zinssenkung auf die vom US-Präsidenten gewünschten 1,5 Prozent kurzfristige positive Effekte etwa für den Aktienmarkt ausgehen könnten: Der Anleihenmarkt würde mit deutlich höheren Zinsen für US-Staatsanleihen reagieren, nämlich im Bereich jenseits von 5 Prozent. Der US-Dollar würde deutlich abwerten, gegenüber dem Euro ist ein Wert von 1,35 durchaus realistisch, was die EZB wohl zu zusätzlichen Zinssenkungen bewegen würde, vielleicht bis 1,25 Prozent aufgrund der deflationären Wirkung des hohen Wechselkurses.

Auch wenn die kurzfristigen Folgen auf den ersten Blick nicht dramatisch wirken, hätte dies langfristig aufgrund höherer Realzinsen, speziell im US-Dollar-Bereich, deutlich negative Auswirkungen auf das langfristige Wachstum und auch auf die Stabilität des Weltfinanzsystems – vom steigenden Druck auf Zentralbanken in anderen Ländern ganz zu schweigen.
 

Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria

Stand: 17. Oktober 2025.

Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria

Stefan Bruckbauer

Folgen Sie Stefan Bruckbauer auf bsky unter

@sbruckbauer.bsky.social


Konjunkturprognosen und Wirtschaftsanalysen:

Rechtliche Informationen

Diese Publikation stellt weder eine Marketingmitteilung noch eine Finanzanalyse dar. Es handelt sich lediglich um Informationen über allgemeine Wirtschaftsdaten.
Die Publikation wurde nicht unter Einhaltung der Rechtsvorschriften zur Förderung der Unabhängigkeit von Finanzanalysen erstellt und unterliegt nicht dem Verbot des Handels im Anschluss an die Verbreitung von Finanzanalysen.
Diese Informationen sind nicht als Empfehlung zum Kauf oder Verkauf von Finanzinstrumenten oder als Aufforderung, ein solches Angebot zu stellen, zu verstehen. Diese Publikation dient lediglich der Information und ersetzt keinesfalls eine individuelle, auf die persönlichen Verhältnisse der Anlegerin bzw. des Anlegers (z. B. Risikobereitschaft, Kenntnisse und Erfahrungen, Anlageziele und finanziellen Verhältnisse) abgestimmte Beratung.
Wertentwicklungen in der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung zu. 
Die vorstehenden Inhalte enthalten kurzfristige Markteinschätzungen. Die Wertangaben und sonstigen Informationen haben wir aus Quellen bezogen, die wir für zuverlässig erachten. Unsere Informationen und Einschätzungen können sich ändern, ohne dass wir dies bekannt geben.

Das könnte Sie auch interessieren: